Nördliche Ostpreußen und Memel / Klaipeda in Litauen

O.-H. Wilhelm, Reiseverlauf 23.08. – 01.09.2004

Montag, 23.8. Individuelle Anreise zum Flughafen Frankfurt/Main. Mit 33 Teilnehmern war die Reisegruppe vollzählig – Abflug mit ca. 2.5 h Verspätung um 16.30 Uhr nach Wilna. Busreise ab Wilna – Grenzüberfahrt nach Tilsit (mit unsinnigen Paßritualen bis ca. 1:30 in der Frühe). Unterkunft in Tilsit war das Hotel „Rossia“(23. – 26.8.).

Dienstag, 24.8. Stadtführung in Tilsit. Fahrt mit dem Bus über Ragnit (Ruine einer Ordensburg), Besuch des ehemaligen Wohnorts der Großeltern von Hr. Neukamm (Reste eines Molkereianwesens) in Lengwethen/Lunino, weiter nach Gumbinnen (Salzburger Kirche) und Insterburg (Ordensburg, ehemalige Reformierte Kirche); Besichtigung eines Heimatmuseums in Kraupischken.

Mittwoch, 25.8. Busfahrt ans süd-östliches Ufer des Kurisches Haffs nach Labiau . Bootsfahrt auf dem Großen Friedrichsgraben und meandernden Memeldeltaflüssen – die andere Hälfte der Reisegruppe fuhr währenddessen mit dem Bus zum Gestüt Georgenburg westlich von Insterburg. Nach Beendigung der Bootsfahrt der ersten Gruppe bestiegen die anderen Teilnehmer das Schiff; das umgekehrte Programm für die restlichen Teilnehmer. – Am Abend russische Folklore im Hotel.

Donnerstag, 26.8. Fahrt über Königsberg zum bekannten Badeort Rauschen an der samländischen Ostseeküste. In Königsberg Besichtigung eines Friedhofs für deutsche und sowjetische Gefallene des II. Weltkriegs, des Kantdenkmals, des Bunkers des letzten Kommandanten der Festung Königsberg General Otto Lasch, des Domes mit dem Kantmuseum und der Kirche in Juditten. Quartier in Rauschen (26. –30.8.): Hotel „Rauschen „Adin“ = eins“.

Freitag, 27.8. Samlandrundfahrt: Germau (großer deutscher Soldatenfriedhof, auf dem auch ein Bruder unseres Hr. Ferchland seine letzte Ruhe gefunden hat), Pillau (Stadtführung; Mittagspause auf der großen Mole und Ostseestrand), Palmnicken (Besichtigung des Bernstein-Tagebaus), Georgswalde bei Rauschen (Museum des Malers und Bildhauers Hermann Brachert).

Samstag, 28.8. Fahrt über Cranz zum russischen Teil der Kurischen Nehrung: Sarkau (Naturmuseum „Kurische Nehrung“ und „Museum für russischen Aberglauben“), Rossitten (Vogelwarte), Mittagspause auf Waldparkplatz mit geräuchertem Aal oder geräucherter Flunder von einem örtlichen Fischer; bei Pillkoppen Gang auf Hohe Düne – Freizeit in den Dünen, Baden in der aufgewühlten Ostsee.

Sonntag, 29.8. Den Vormittag nutzte die Mehrzahl der Teilnehmer zu einer Fahrt nach Cranz. Dort Stadtrundgang, Erlebnis eines orthodoxen Gottesdienstes, gesungener Liturgie des Popen, mit Chorgesang und Weihrauch; Strandpromenade. Bei Rückfahrt Halt an Ruine einer der größten Kirchen des Samlands in Pobethen. In Rauschen restlicher Tag zur freien Verfügung, u.a. mit Baden in der Ostsee an weitem Strand mit Steilufer. Am Abend Konzert für Orgel und Sopran-Solo – Bruns, JS Bach, Mendelson, italienische Meister, und Volksweisen.

Montag, 30.8. Fahrt von Rauschen durch Naturschutzpark Kurische Nehrung Richtung Memel. Grenzübertritt in den litauischen Teil, Halt in Nidden mit Ortsrundgang, u.a. Besuch des Thomas-Mann-Hauses, Bernsteinmuseums. Fahrt und Gang zur Hohen Düne mit Aussicht auf Haff und Sandmeer. In Schwarzort Rundgang auf dem Hexenberg mit heidnischen Grusel-Skulpturen. Eine Fähre brachte uns über das Memeler Tief nach Memel.

Hotel „Lugne“ am Rande der Altstadt war unser Quartier (30.8. – 1.9.). Nach dem Abendessen individueller Besuch der Altstadt.

Dienstag, 31.8. Stadtführung in der Altstadt von Memel, über den Markt zur alten Post, zu historischen Gebäuden, Verweilen am Denkmal von Simon Dach, des Dichters des Lieds „Ännchen von Tharau“, dort Gruppenfoto der Teilnehmer mit Familienangehörigen (s. Bild).

Geführte Busreise (litauische Begleitung) u.a. zur Windenburger Ecke am Haff, ca. 30 km südlich von Memel, dort Besuch der Vogelwarte (Gegenstück ca. 20 km entfernt von Rossitten am nordöstlichen Ufer des Kurischen Haffs), zu den Orten Minge (Venedig Litauens) und Ruß im Memeldelta, weiter nach Heydekrug, in dessen Nähe der Dichter Hermann Sudermann geboren wurde. Besichtigung einer evangelischen Backsteinkirche, die in den Kriegswirren von einem entschlossenen russischen Stadtkommandanten zugeschlossen wurde, bis wieder Ruhe eingekehrt war, und deshalb erhalten geblieben ist.

Mittwoch, 1.9. Transfer zum Flughafen in Wilna und Heimreise nach Frankfurt a.M.

Planung im Vorfeld

Dieter Neukamm und unser Reiseführer vor Ort, Eduard Politiko vom Adebar-Reiseteam, hatten ein reichhaltiges Programm zusammengestellt. Landschaften, Stadtansichten, Besuche diverser Museen und markanter Sehenswürdigkeiten, von Kirchen, Konzerten und Gedenkstätten des II. Weltkriegs gehörten dazu. Die sorgfältige, zeitige, technisch ausgezeichnete Planung sorgte dann für einen gelungenen Ablauf (Reiseprogramm vom 23.08. -01.09.2004 in Stichworten am Berichtsende).

Viele Teilnehmer kamen aus dem ehemaligen Kollegen- und Freundeskreis von Hr. Neukamm. Sieben Teilnehmer waren gebürtige Ostpreußen oder hatten Vorfahren, die dort gelebt hatten. Die Zusammensetzung der Gruppe war gut gelungen mit ca. 2/3 Gleichgesinnten und deren Familienangehörigen. Sie bewirkte eine entspannte, freundliche Grundstimmung während der gesamten Reise.

Russischer Reiseleiter Eduard Politiko

Unser russischer Reiseleiter Eduard Politiko führte unsere Reise in bewundernswert perfekter deutscher Sprache. Seine fleißigen Erläuterungen gab er in stets sympathischer Art, kenntnisreich mit aktuellen wirtschaftlichen und politischen Bezügen. Rückblicke in vergangene preußisch-deutsche Kultur zeugten von souveränem Wissen. Dabei waren Respekt und anerkennende Bewunderung für preußische Lebensart und deutsche Kultur spürbar. Fahrten zu unseren Stationen mit einem geräumigen Mercedes-Bus wurden von ihm unterhaltsam aufgelockert durch gelungene Witze über typische Schwächen des sowjetischen Regimes und seiner Menschen. Diese Ehrlichkeit wirkte auf mich überzeugend und sympathisch.

Die Persönlichkeit unseres Reiseleiters ist für mich eine Erklärung, daß versöhnliche Gedanken meinen immer wiederkehrenden Gefühlen der Trauer und dem Kummer über das Unrecht der Vertreibung von ca. 3 Mio. Ostpreußen aus diesem blühenden deutschen Kulturland entgegenwirkten.

Prägende Bilder bei Überlandfahrten

Der nördliche Teil Ostpreußens ist eine eiszeitlich geprägte hügelige Moränenlandschaft mit weitem Horizont, Brach- bzw. Ödland soweit das Auge reicht, durchzogen von den breiten Urstromtälern der Flüsse Memel, Pregel, Angerapp und Inster und zahlreichen kleineren Gewässern. Die sprichwörtlichen Seen Ostpreußens kommen hier kaum vor.

Die Landstraßen, kilometerlang von Linden oder Eichen gesäumt, bisweilen für den modernen, wenn auch überwiegend schwachen, Verkehr ein wenig schmal, waren mit dem Bus gut befahrbar.

Baufällige Restdörfer, vereinzelte Häuser oder kleine Gehöfte in Buschlandschaften soweit das Auge reichte. Bewirtschaftete großflächige Äcker oder größere Herden von Rindvieh sah ich nur in der Nähe von Königsberg. Wiederholt passierte unser Bus frei herumlaufende Kühe, die gemächlich die Landstraße überquerten oder sich unmittelbar am Straßenrand niedergetan hatten und keine Notiz nahmen von vorbeirollenden Fahrzeugen. Ab und an weideten kleine Herden von freilaufenden Schafen ohne Hirten, wenige Ziegen, und nur vereinzelt Pferde in der verwilderten Landschaft. Einen betont ärmlichen Eindruck hinterließen in mir die vereinzelt angepflockte Kühe oder Jungvieh in weitem Land.

Merklich lebhafter und gepflegter, als die meisten Städte in der ostpreußischen Provinz, einen wirtschaftlichen Aufschwung erkennbar machend, sind einige Königsberger Stadtteile und das Städtchen Rauschen. Rauschen ist heute das begehrte Ostseebad für wohlhabendere Russen geworden. Ein Bauboom ist deutlich sichtbar. Das touristische Leben im Strand- und angrenzenden Stadtbereich hat sich bereits dem Niveau der türkischen Riviera angenähert. Das Geld hierfür stammt angeblich von Neureichen aus Moskau.

Störche und Bernstein

Störche und Bernstein bewegten unsere Gemüter. Ein imposanter Großvogel wie der Storch muß seine Bewunderung erfahren, wenn man seiner ansichtig wird als naturferner Mensch (aus längst Storchen-freien Zonen unseres Landes). Storchennester auf Kirchenruinen sorgten bei mir für gemischte Gefühle; Nester besonders auf den typischen, russischen Wassertürmen einheitlicher Bauweise (verrostete Eisensäule mit aufgesetztem Rundbehälter), oder Störche auf sumpfigem Brachland, bewirkten erfreute Ausrufe. Die meisten Störche seien bereits ab Mitte August nach Süden abgeflogen, meinte Eduard.

Bernstein-Schmuckauslagen beherrschten nahezu jeden Busstop auf unseren weiteren Fahrten im Samland und auf der Nehrung.

Fliegende Händler eskortierten unseren Bus besonders auf der Kurischen Nehrung. Sie hatten ihre Auslagen manchmal erst ausgebreitet, wenn unsere Gruppe im Begriff war auszusteigen.

Die Entstehungsgeschichte von Bernstein über 50 Mio. Jahre aus fossilem Harz bis zur heutigen industriellen Gewinnung wurde sachgerecht erklärt, als wir eine gewaltige Grube zur Tagebaugewinnung der besonderen Blauerde in der Nähe von Palmnicken besichtigten. Ein kompetenter 75-jähriger Rußland-Deutscher, studierter Bergbauingenieur, den es als jungen Kriegsgefangenen schließlich ins Samland verschlagen hatte, berichtete von den traurigen Verhältnissen in dieser Grube während der Diktatur des Proletariats und von seinem erfolgreichen Ringen dagegen, von der Technik der heutigen Gewinnung und vermittelte sonstig Wissenswertes um den Bernstein. Ca. 800 t Jahresförderung beträgt die Ausbeute heute dort.

Bernstein in beeindruckend strahlender Form oder besonders großen Funden von einigen kg konnten wir in mehreren Ausstellungen, u.a. im Dom von Königsberg, oder im Niddener Bernstein-Museum bestaunen.

Eifrige fanden tatsächlich selber kleine Brocken von Bernstein am Ostseestrand als Erinnerungsstücke. Derartige Stücke sind als Glieder einer Kette für wenige € käuflich.

Eindringliche Erinnerungen an den Untergang Ostpreußens im II. Weltkrieg

Bedauern über den Verlust dieses Landes mit einstmals blühender deutscher Kultur, Beklommenheit in Erinnerung an das große Leid und das Unrecht der Vertreibung, welches Ostpreußen im II. Weltkrieg geschehen ist, kamen immer wieder auf während unserer Reise.

Königsberg

Bei einer Stadtrundfahrt über breite Autostraßen bekamen wir einen Eindruck vom heutigen Kaliningrad, das bei seinen Bewohnern wieder „Kenig“ heißt. Königsberg hat heute etwa 420.000 Bewohner.

Die Innenstadt wurde bei den letzten Kämpfen um die „größte Festung Europas“ im Frühling 1945 in Schutt und Asche gelegt. Von früherer Bausubstanz sind nur Reste zu sehen. Einige der ehemals sechs Stadttore sind erstaunlich gut erhalten.

Unser erster Halt galt dem Besuch eines Friedhofs in der ehemaligen Cranzer Allee mit Ehrenmalen für die sowjetischen und deutschen Gefallenen. Zehntausende Namen auf hohen Wänden und Steinsäulen erinnern an massenhaftes Sterben. Diese Gedenkstätte wurde erst vor wenigen Jahren gemeinsam errichtet vom Bund Deutscher Kriegsgräberfürsorge und einer entsprechenden russischen Organisation.

Im Verlauf der Reise machten uns weitere Besuche von Gräberfeldern mit Zehntausenden deutscher und russischer Gefallener, z.B. bei Insterburg, oder im Samland bei Germau, eindringlich den Irrsinn des II. Weltkriegs deutlich.

Die Busfahrt von der Cranzer Allee in Richtung Schloßteich, Universität mit wieder errichtetem Kant-Denkmal (dank Initiative von Marion Gräfin Dönhoff) zum Dom führte durch eine kaum zerstörte Villengegend mit sehr viel Grün und Baumbestand. Diese Gegend war und ist weiterhin Wohngebiet vor allem der höheren Offiziere.

Wo früher einmal das Schloß stand, befindet sich eine gigantische, quaderförmige Beton-Rohbauruine, etwa 10 Stock hoch, deren Fertigstellung wegen massiver statischer Fehlberechnungen nicht mehr erwartet wird. Die ausgebrannte, aber noch durchaus wieder herstellbare Schloßruine wurde erst Ende sechziger Jahren auf Anordnung Breschnews gesprengt, der damals die Stadt besuchte.

Der ausgebrannte Dom mit noch stehenden zwei Doppelturmrümpfen sollte damals ebenso verschwinden. Nur der Hinweis eines sowjetischen Offiziers, das Grab eines gewissen Immanuel Kant, eines geistigen Wegbereiters der Philosophie von Karl Marx, befinde sich dort, veranlaßte Breschnew zur Rücknahme seines Befehls.

Ein Rundgang führte uns vom Denkmal Kants vor der Universität zum Bunker des letzten Festungskommandanten, General Otto Lasch. Die Bunkeratmosphäre mit schummeriger Notbeleuchtung und original erhaltener Ausstattung der Befehlsstände wirkte bedrückend: Endkampf und sinnlose Zerstörung von Königsberg im Januar 1945 sind eindrucksvoll dargestellt.

Der Backsteinbau des Doms wurde seit 1992 äußerlich bereits wieder hergestellt. Arbeiten im Inneren der dreischiffigen Hallenkirche sind noch im Gange, auch dank Geldspenden aus Deutschland. Unsere Besichtigung des Kantmuseums im Doppelturm, von Ausstellungen zur Dom- und Stadtgeschichte und von Bernsteinkunst wurde beschlossen mit festlicher, geistlich-russischer Chormusik von Mitgliedern des berühmten Domchors.

Ragnit und Kraupischken

Hr. Neukamm lenkte unsere Busroute bei einem unserer Ausflüge ab Tilsit nach Gumbinnen und Insterburg über Ragnit, wo wir die mächtigen Backstein-Ruinen einer sechs Jahrhunderte alten Ordensburg anschauten. Dieser Bau war nach Kriegsende noch teilweise mit intaktem Dach vorhanden, wurde aber laut Bericht unseres Reiseführers für nur wenige Minuten Filmaufnahme von Kriegsszenen in Brand gesetzt. Heute ist die gewaltige Ruine abgesperrt, damit sie nicht weiterhin als Steinbruch zur Gewinnung von Ziegelsteinen mißbraucht wird.

Nach einem Halt an der Memel fuhren wir in Hr. Neukamms Heimatdorf Lengwethen, das 1938 umgetauft wurde in Hohensalzburg und das heute Lunino genannt wird.

Dort besaß der Großvater von Hr. Neukamm eine Molkerei. Hr. Neukamm hatte die ersten fünf Jahre seines Lebens auf diesem Anwesen zugebracht. Heute fand er nur noch das heruntergekommene, aber bewohnbare Wohnhaus wieder.

In diesem nord-östlichen Landstrich Ostpreußens hatte Friedrich II. österreichische Flüchtlinge ansiedeln lassen, welche aus Glaubensgründen ihre Salzburger Heimat verlassen mußten.

Pillau

Beim Verweilen auf der weit in die Ostsee hineinragenden Mole bei Pillau waren Gedanken gegenwärtig von Flüchtlingsströmen im Winter 1944 /45, die hier über das Eis des zugefrorenen Frischen Haffs zu den Transportschiffen ab Pillau nach Westen fliehen wollten. 600 000 Flüchtlingen wurden von Pillau erfolgreich evakuiert. Aber auch die traurige letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff und weiterer, mit Flüchtlingen und verwundeten Soldaten überladener Dampfer, begann dort im kalten Winter Anfang Februar 1945.

Versöhnliche Stimmungen

Der Leiter des ostpreußischen Heimatmuseums in Kraupischken/Breitenstein/Uljanowo ist Rektor der dortigen Schule. Mit Begeisterung und Temperament führte er unsere Gruppe in gut verständlichem Deutsch durch vier kleine Räume in einem Seitentrakt des großen Schulgebäudes. Zwei Eingangsräume sind dem Gedenken an den großen Vaterländischen Krieg gewidmet: zahlreiche Fotos von Kampfhandlungen, militärische Orden, Uniformen und kleinere Waffen, z.B. ein Maschinengewehr, Aufmarschpläne der Schlacht um Ostpreußen, sind dort zusammengetragen.

Erinnerungen an die deutsche Zeit und die damaligen Bewohner des Landes, insbesondere persönliche Gegenständen (Dokumente, Briefe, Fotos) mit Bezug auf das vergangene Ostpreußen folgten in zwei weiteren Räumen.

Der Museumsdirektor berichtete stolz und gerührt, daß über Ausstellungsstücke dieses Museums bereits mehrfach unverhoffte Kontakte zwischen verloren geglaubten Menschen hergestellt wurden.

Gumbinnen / Insterburg

Eine Tagestour von Tilsit aus nach Gumbinnen und Insterburg in die Landschaft der weltberühmten Zucht edler Trakehner Pferde war mir vor Antritt unserer Reise ein besonderes Anliegen, obwohl der Pferdefreund weiß, daß heute in Trakehnen kein Gestüt mehr existiert.

In Gumbinnen, einem Ort mit zahlreich erhaltenen Vorkriegsbauten, pausierten wir nahe einem bronzenen Elch. Es gibt noch den zweiten Elch aus Tilsit, der seit Kriegsende im Zoo in Königsberg steht.

Während der Pause am Elch versorgten wir uns in kleinen Läden ringsum für die Mittagspause. Ohne Kenntnis der russischen Sprache klappte das mit Gestikulieren recht gut. Der eindringliche Geruch von getrockneten Stinten, Flundern, und anderen Fischen im reichhaltigeren Mini-Supermarkt wird mir lange im Bewußtsein bleiben. Zwieback, Gebäck und Wodka wurden stehend eingenommen in der Gartenanlage am beeindruckenden Bronze-Elch.

Wassertour im südlichen Memeldelta

Trotz Regenwetters fuhr uns der Bus ab Tilsit nach Labiau an das südöstliche Ufer des Kurischen Haffs zum Ablegeort eines Motorschiffchens. Erst während der Hinfahrt lockerte es auf, so daß die Hälfte unserer Gruppe auf den unbedachten Sitzplätzen an Deck Platz nahm. Wir befuhren den Großen Friedrichsgraben, welcher zur Zeit Friedrichs II zwecks besserer Entwässerung des Gebiets angelegt worden war, ca. 15 km nach Nordosten, parallel zum Ufer des Kurischen Haffs, bogen östlich ab in die Urlandschaften des Memeldeltas mit den mäandernden Gewässern Nemonien und Timber. Schilf, Erlenwälder und Sumpf bieten hier noch gute Lebensbedingungen für Elche, Fischadler und anderes seltenes Getier. Nur sporadisch saß ein Angler, oder es lag ein Boot am Ufer. Nach wunderschönem Naturerlebnis für etwa 4 h und nur wenigen Regentropfen, erwarteten wir den Bus nahe einer Brücke.

Der Bus hatte zwischenzeitlich die andere Hälfte zur Besichtigung des Gestüts Georgenburg, danach zum Mittagsessen nach Kreuzigen gefahren, etwa 15 km von unserem Treffpunkt entfernt. In umgekehrter Weise wickelten die Gruppenhälften nun jeweils den fehlenden Teil des Tagesprogramms ab.

Besuch von Georgenburg, einem Renommiergestüt

Im Anschluß an die schöne Mittagspause in Kreuzingen brachte uns der Bus in rasanter Fahrt zum wieder florierenden Gestüt Georgenburg westlich Insterburg. Während der Hinfahrt erfuhren wir: zwei Urgroßonkel unseres Herrn Heiner Simpson waren im 19. Jahrhundert Besitzer dieses Gestüts, hatten es aber um 1890 an den Staat verkauft.

Der Besuch dieser ausgedehnten Anlage mit riesigen Stallungen für 350 Pferde, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäuden, weiträumigen offenen Reitplätzen und einer fast 100 m langen Reithalle sowie einem Hotel für Reiterferien war ein überraschendes Erlebnisse, besonders für Pferdefreunde. Völlig im Gegensatz zu allem, was wir bisher gesehen hatten, zeigte sich die Anlage in imponierend gepflegtem Zustand. Ein junger Mann bot uns in perfektem Deutsch eine ausgezeichnete, leider etwas eilige Führung.

Hr. Simpson wurde am Ende der Besichtigung ausführlich von einer jungen Dame der Gestütsleitung befragt zu den geschichtlichen Beziehungen seiner Familie zu diesem Ort. Leider erhielt Hr. Simpson deshalb keine Einladung, als vorzuzeigender Ehrengast zu einem internationalen Reitturnier nach Georgenburg Mitte September 2004 zu kommen, was ich vermutet hatte.

Kurische Nehrung

Ein Tagesausflug ab Rauschen sowie die Fahrt nach Memel als letzter Station unserer Reise brachten uns unvergeßliche Eindrücke von der Einzigartigkeit dieser Landschaft. Weitgehend von Wald umsäumt verläuft eine Straße, die wir etwa mit Kreisstraße klassifizieren würden, über 100 km fast ausnahmslos unmittelbar auf Haffseite, manchmal auch im hügeligen, mit Kiefern bewaldeten Dünenland.

Im 17. -18. Jahrhundert war der natürliche Baumbestand auf ca. 15 % wegen Übernutzung geschrumpft. Wanderdünen wurden übermächtig – 14 Dörfer verschwanden darunter. Heute ist dank systematischer Wiederbepflanzung ein Sahara-ähnlicher Abschnitt von wenigen Kilometern der Nehrung nur noch im Mittelteil nahe Nidden / Nidda unbefestigt. In diesen Bereich der Hohen Düne fuhren wir, nachdem u.a. ein Besuch der Vogelwarte Rossitten (1901 als erste vogelkundliche Warte weltweit entstanden) uns begeistert hatte. Trotz grauen Himmels und sehr frischer Briese badeten die Unerschrockenen in der tosenden Ostsee. Wodka half wieder zurück auf normale Körpertemperatur.

Zwei Tage später wurde derselbe Teil der Nehrung von der litauischen Seite aus ab Nidden eingehender betrachtet auf unserer Fahrt zur Fähre am nordöstlichen Ende, die uns nach Memel übersetzte.

Programmpunkte in Nidden: Eine Besichtigung des Thomas-Mann-Ferienhauses mit mittelmeerländischem Ausblick auf das Haff (das Haus entstand 1931, als Mann den Literaturnobelpreis erhalten hatte); Besuche vom Bernsteinmuseum; eines kurischen Friedhofs; Erwandern der höchsten Düne westlich des Ortes (auf deren Gipfel die runenbeschriebenen Trümmer eines gewaltigen Obelisken aus nordischem Granit verstreut lagen, angeblich hatte dort kurz nach der Errichtung 1994 ein mächtiger Blitz eingeschlagen!); Bewanderung eines Pfads bei Schwarzort mit heidnischen Holzskulpturen usw.

Das Leben und die Preise im Badeort Nidden haben sich erstaunlich weit dem westlicher Toristenzentren angenähert.

Memel / Klaipeda und Abschied

Im Jahre 2002 gedachte Memel/Klaipeda seiner Gründung durch den Deutschen Ritterorden vor 750 Jahren und Tilsit/Sowjetsk der Verleihung der Stadtrechte vor 450 Jahren, während im nächsten Jahr Königsberg sein 750-jähriges Bestehen feiern wird.

Alle versammelten sich in Memel zum Gruppenfoto am Simon-Dach-Denkmal mit dem Ännchen von Tharau, während ein litauischer Akkordeonspieler die bekannte Weise intonierte. Andere Gäste aus Deutschland verhehlten nicht ihre Rührung beim Mitsingen.

Mit freudigem Gesang des spritzigen Studentenlieds >Angezapft, angezapft, ..< wurde der Abschlussabend im Hotel beschlossen. Sehr früh am folgenden Morgen rollte uns der Bus wieder nach Wilna zum Flughafen, ca. 250 km von Memel entfernt.

Im Flughafen Frankfurt a.M. sagten wir uns am frühen Nachmittag Ade. Alle waren offensichtlich sehr beglückt, diese gelungene Reise miterlebt zu haben.

Memel (Ergänzung)

Aus einer kurzgefaßten Geschichtsabhandlung, verfasst von Dr. Gerhard Willoweit, Mainz Dezember 1988, zitiere ich ausgewählte Abschnitte:

>Im Frieden vom Melnosee 1422 wird die Grenze des Ordensstaates festgelegt. Ab diesem Zeitpunkt ist die Ostgrenze des späteren Ostpreußen unter Einschluß von Memel bis 1923 unverändert. Sie zählt zu den stabilsten in Europa. –

1709-1711: Große Bevölkerungsverluste durch die Pest im nordöstlichen Preußen. Die Entvölkerung wird durch die preußischen Könige mit Religionsflüchtlingen (Hugenotten, Salzburger) und starken Einwanderungen litauischer Bauern ausgeglichen. –

1871 wird Memel die nordöstlichste Stadt des neugegründeten Deutschen Kaiserreiches. - 1919: Durch den Versailler Vertrag als Abschluß des I. Weltkrieges wird das neu gebildete Memelgebiet ohne Volksabstimmung von Ostpreußen und dem Deutschen Reich abgetrennt. Die kreisfreie Stadt Memel hat zu diesem Zeitpunkt 32.266 Einwohner. Es kommt zur Bildung einer autonomen deutschen Verwaltung mit einer französischen Besatzung bis zum

17.1.1923, mit gewaltsamem Einfall litauischer Freischärler. Die Franzosen ziehen sich zurück, das Memelgebiet wird Litauen angegliedert und erhält ab

25.8.1925 nach langwierigen Verhandlungen durch den Völkerbund eine Konvention und ein Autonomie-Statut ähnlich wie Danzig mit Doppelsprachigkeit Deutsch und Litauisch.

Dies alles geschieht gegen den ausdrücklichen Willen der überwiegenden Mehrheit der Memelländer.

Aufgrund der politischen Entwicklung im Deutschen Reich und in Mitteleuropa in den 30er Jahren wird die Stellung Litauens in der Memelfrage unhaltbar und das Memelgebiet daher am 23.3.1939 aufgrund eines rechtlich einwandfreien Staatsvertrages von Litauen an das Deutsche Reich zurückgegeben.

Diese Zeilen machen mich nachdenklich darüber, daß manches, was heute als revisionistisches Gedankengut benannt wird, den Verlauf der Deutschen Geschichte im 20.Jahrhundert mit bestimmt haben dürfte.

Nach einer Stadtbesichtigung führte unsere Fahrt zu einer Vogelwarte, welche die Litauer seit den 30er Jahren in ca. 30 km Entfernung von Rossitten am östlichen Haffufer auf der Memelspitze betreiben, über die Wasserlandschaften der Memel- Mündungsarme, dem litauischen Venedig, durch brettebenes Marschenland nach Heydekrug.

Die evangelische Kirche überstand das Kriegsende unbeschadet, weil der örtliche russische Kommandant das Gebäude verbarrikadieren ließ, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Voller Stolz erläuterte uns eine pensionierte, recht energische deutsche Dame, die zuvor in Deutschland bei Zigeunern missioniert hatte, die Schätze im Inneren, insbesondere ein haushohes Wandgemälde mit Portraits ca. 40 geschichtlich bedeutender Persönlichkeiten einschließlich Martin Luthers

Planung im Vorfeld (meine persönliche Version)

Unser Hr. Dieter Neukamm sprach mit mir erstmals bei der Antrittskneipe zum SS 2003 über seine Pläne, eine Gruppenreise ins Nördliche Ostpreußen, der russischen Enklave Kaliningrad, für interessierte Gleichgesinnte, deren Familienangehörige und einige seiner Freunde und Bekannte zu organisieren.

Seit meiner Kindheit auf einem Bauernhof in Niedersachsen war in mir eine Sehnsucht nach diesem verlorengegangenen Land durch viele Erzählungen ostpreußischer Vertriebener in unserer kleinen Gemeinde mit damals ca. 250 Einwohnern geweckt. Deshalb wollte ich bei dieser Reise dabei sein.

So lebten auf dem Bauernhof meines Vaters mehrere große Flüchtlingsfamilien in kargen, beengten Verhältnissen. Der sympathischen Opa Novell z.B. baute während der Sommerzeit in seinem Holzstall, in welchem auch Hasen für den Verzehr großgezogen wurden, alle Jahre wieder ein weiteres Sperrholzhäuschen für meinen Spielbauernhof.

Und wenn ich dann fragte, was er denn da gerade mache, bekam ich die klangvolle Antwort: > Jüngche, na waas daas wohl werd – daas werd de Deeichssel von d’m Aantenaarsch. <.

Die Eltern der Ostpreußenfamilien, stets fleißig anpackend bei Feld- und Hofarbeit, waren trotz der herrschenden Nachkriegsknappheit für mich immer verständnisvolle, freundliche Menschen.

Besonders das gekonnte Fahren von leichtem und schwerem Gespann, das heißt der Umgang mit Pferden, war selbstverständliche Aufgabe der Männer, die in ihrer ostpreußischen Heimat selber Bauernhöfe bewirtschaftet hatten.

Die Kinder der Flüchtlinge in meinem Alter waren meine täglichen Spielkameraden. Nörgeln, Maulen und Unzufriedenheit, gab es nicht. In den Arbeitspausen der Eltern hörten wir die ostpreußische Mundart, und so manche Geschichte aus der verlorenen Heimat.

Auch die Familie unseres Dorfschullehrers stammte aus Königsberg. Seine zwei Söhne und zwei Töchter paßten altersgemäß zu mir, so daß beim Umgang mit ihnen ostpreußische Lebensart auf mich abfärben konnte.

Ebenso haben mich in der ländlichen Reiterei in der Lüneburger Heide, oder bei der Jägerei meines Vaters, ostpreußische Menschen immer wieder beeindruckt durch ihre Erzählungen von einem großartigen Land.

Mit zwei vorhergehenden Treffen stellten Hr. Neukamm und unser russischer Reiseführer vor Ort, Herrn Eduard Politiko, ein reichhaltiges Programm zusammen. Landschaften, Dörfer und Stadtansichten, Besuche diverser Museen und markanter Sehenswürdigkeiten, Gedenkstätten des II. Weltkriegs, Besuche von Konzerten und Kirchen gehörten dazu. Die sorgfältige, technisch ausgezeichnete Planung sorgte dann für einen glatten und äußerst gelungenen Ablauf, mit einer beeindruckenden, erlebnisreichen Abfolge von sehr viel Sehenswertem.

Drei Hotels (1.- Rossia in Tilsit / Sowjetsk, 23.-26.08., 2. -Rauschen I in Rauschen /Swetlogorsk, 26.-30.08. und 3. - Lugne in Memel / Klaipeda, 30.08. -01.09.04) waren Zwischenstationen für unsere Übernachtungen in Zwei- bzw. Einbettzimmern, Frühstück und Abendessen, sowie Ausgangspunkt für Rundgänge zur Stadtbesichtigung, und Busfahrten durch das Land zu zahlreichen Zwischenzielen (s. Auflistung).